Die Stadt muss ökologische Ausgleichsmaßnahmen zur Kompensation des Eingriffs in die Natur vornehmen, das ist im Bundesbau- und im Bundesnaturschutzgesetz so vorgeschrieben. Soweit die Theorie. In der Praxis werden jedoch viele Ausgleichsmaßnahmen so realisiert, dass sie ihren Namen nicht wert sind. Konkret zum Nordring: Im Fall des kleinen Waldgebietes zwischen dem Hemdener Weg und der Adenauerallee, als dem ökologisch wichtigsten Stück der gesamten Nordringtrasse, ist festzuhalten, dass dessen Rodung kaum zu kompensieren ist. Durch das jahrzehntelange Freihalten der Trasse sind die Bäume dort natürlich gewachsen. Die dort stehenden Bäume kamen mit der Trockenheit und der Hitze der vergangenen drei extremen Sommer viel besser zurecht als sämtliche angepflanzten Bäume. Zudem erbringen die dort stehenden Bäume umfassende Ökosystemleistungen, die die jungen Bäume aufgrund ihres Alters schlichtweg nicht erbringen können. Die Aufnahme von CO2, die Produktion von Sauerstoff, die Filterung der Luft, die Abkühlung durch Verdunstung und Beschattung, die Nahrung und die Lebensräume für Tiere, die gesundheitlichen Auswirkungen auf die Menschen; das sind vielfältige Leistungen, die nur ältere Bäume in diesem Umfang erbringen können, so dass schon einige tausende Bäume gepflanzt werden müssten, um den jetzigen Baumbestand ökologisch zu kompensieren. Kurz und knapp: Der massive Eingriff in die Natur kann nicht ausgeglichen werden, denn die alten Bäume fehlen dann exakt an der Stelle.

Um die Rodung des Wäldchens und die Asphaltierung des grünen Bandes (Nordringtrasse) einigermaßen ökologisch kompensieren zu können, müssten 30 bis 40 Hektar Naturentwicklungsfläche eingeplant werden. Die Stadt hat ja jetzt bereits große Probleme Platz zu finden für 800 Bäume, die anlässlich des Stadtjubiläums im kommenden Jahr gepflanzt werden sollen. Wie sollen dann Ausgleichsmaßnahmen erfolgen, die den Eingriff auch tatsächlich kompensieren? Viele Ausgleichsmaßnahmen sind nichts anderes als Green-Washing! Und sie erfolgen nicht zwingend in der Kommune, in der auch der Eingriff erfolgt. Es kann also durchaus sein, dass die Rodung der Trasse irgendwo anders ausgeglichen wird.

Der Naturschutzbund (NABU) lehnt das Bauvorhaben aus Gründen des Klima-, Natur- und Artenschutzes vollumfänglich ab und kann das fachlich gut begründen. Auch steht der NABU mit seiner Meinung nicht alleine da, denn es haben zunehmend mehr Menschen aus Bocholt und der Region ihr Befremden gegenüber dem Nordring bekundet, weil er einfach nicht mehr in diese Zeit passt. Dass unsere Einschätzung diesbezüglich richtig ist, lässt sich auch anhand des ganz aktuellen Urteils des Bundeverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz vom 29. April 2021 erkennen. Die Richter monieren unmissverständlich, dass die Politik mit dem Klimaschutzgesetz nicht die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen im Blick hat. Und das ist ja auch unsere Kritik an der Planung zum Nordring: Bocholt hat einen innerstädtischen Grüngürtel, der erheblich zur Stabilisierung des innerstädtischen Klimas beiträgt. Aus der Verantwortung für die jungen Menschen und die nachfolgenden Generationen wäre der Bau des Nordrings eine katastrophale Fehlentscheidung mit irreversiblen Folgen. Die kommenden Generationen müssten dann den Preis bezahlen für unsere heutige Bequemlichkeit. Es bedarf dringend einer anderen Haltung der Entscheidungsträger im Rat und der Verwaltung: Zukunftsorientierung und Verantwortung gegenüber kommenden Generationen ist jetzt angezeigt. Wir bräuchten dringender denn je einen ökologischen Generationenvertrag!

Da der Eingriff nicht annähernd vollständig ausgeglichen werden kann, muss die Frage vielmehr lauten, wie die Stadt sich den Herausforderungen eines sich stetig beschleunigenden Klimawandels stellen will. Statt eine klimatisch und ökologisch wertvolle Fläche dem Individualverkehr zu opfern, sollte lieber überlegt werden, wie durch weitere Begrünungen im innerstädtischen Bereich und den Siedlungen für mehr natürliche Abkühlung gesorgt werden kann. Weitere Flächenversiegelungen sind auch deshalb unverantwortlich, weil sie erheblich dazu beitragen die Niederschlagswahrscheinlichkeit weiter zu senken und zugleich das innerstädtische Klima aufheizen. Bocholt braucht dringend die dauerhafte Unterschutzstellung der Nordringtrasse als unantastbaren Grüngürtel und zudem weitere Grünflächen mit Bäumen, Hecken sowie Wildblumenwiesen und Wildkräuter-flächen, um sich für die großen Herausforderungen – Klimakrise und Abnahme der Biodiversität – zu wappnen. Wir können nur an die Vernunft der Entscheidungsträger appellieren, bei allen Entscheidungen die Interessen kommender Generationen im Blick zu haben. Dann verbietet sich die Rodung und Asphaltierung der Fläche!

 

Michael Kempkes
1. Vorsitzender