Etwa Mitte/Ende Juli ist für die meisten jungen Mauersegler der große Tag: Sie lassen sich aus ihrer Bruthöhle fallen, breiten die Flügel aus und werden von diesem Moment an knapp 10 Monate lang ununterbrochen fliegen – bei Tag und bei Nacht. Niemand füttert sie mehr, sie müssen selbständig Insekten in der Luft fangen und sie müssen sehr bald die große Reise nach Afrika antreten. Wenn sie im Mai des folgenden Jahres erstmals eine Höhle in Besitz nehmen, landen sie wahrscheinlich das erste Mal in ihrem Leben.

Nur etwa drei Monate im Jahr bevölkern die Superflieger unseren Sommerhimmel. Sie brüten meistens gesellig an Stadtgebäuden tief verborgen in engen Ritzen und Spalten. Durch Sanierung oder Abbruch von alten Gebäuden verlieren die Segler viele ihrer Brutplätze, ihre Bestände gehen daher zurück. Allerdings kann man den Mauerseglern helfen.

Die alten Wohnblocks aus den 1950ern
Foto NABU / Martin Steverding

In einer Reihe aus sechs Häuserblocks aus den 1950er-Jahren in der Eichendorffstraße in Rhede befand sich jahrzehntelang die größte Mauerseglerkolonie der Stadt. Im Jahr 2020 stand der Abbruch der Blocks und ihr Ersatz durch Neubauten durch die Bocholter Heimbau an. Christian Giese und ich (Martin Steverding) erhielten den Auftrag für die Artenschutzprüfung. Gemeinsam mit der Bocholter Heimbau und den Architekten Derksen + Ritte aus Bocholt erarbeiteten wir ein Konzept zum Erhalt der Brutkolonie bzw. ihrem erfolgreichen Umzug in die Neubauten. Wichtig waren dabei nicht nur passende Ersatznistplätze, sondern auch die Kontinuität des Nistplatzangebotes. In allen Jahren mussten den Mauerseglern Brutplätze zur Verfügung stehen.

Vor Beginn der Brutperiode 2021 wurden die beiden westlichen und die beiden östlichen Häuserblocks abgebrochen, die beiden mittleren Blocks stehen. Dort konnte mit wenig Aufwand das Brutplatzangebot durch Abtrennung des Dachrandes von einem offenen Dachbodenraum mit Brettern erweitert werden. So brüteten im Jahr 2021 annähernd 40 Paare in den beiden mittleren noch stehenden alten Blocks, während der Neubau der vier äußeren Blocks schon im Gange war.

Neubau mit im Mauerwerk integrierten Nistkästen
Foto NABU / Martin Steverding

Zu Beginn der Brutsaison 2022 standen den Mauerseglern die vier neu errichteten äußeren Blocks mit Niststeinen der Firma Hagemeister aus Nottuln im Kreis Coesfeld zur Verfügung. Die Niststeine wurden individuell angefertigt und fügen sich optisch unauffällig in die Fassade ein. Der Brutraum von der Größe eines üblichen Mauerseglerkastens liegt vor der Dämmung, so dass keine Kältebrücke entsteht und ist für die Vögel über einen schmalen Einflugschlitz erreichbar. Die beiden mittleren Blocks waren während der Brutsaison 2022 in Bau und für die Mauersegler noch nicht zugänglich, die Altbauten waren dort nach der Vorjahresbrut abgebrochen worden.

Mit der Ankunft der Segler im Mai dieses Jahres wurde es spannend: Mauersegler sind extreme Gewohnheitstiere, die über 20 Jahre alt werden können und fast immer denselben Brutplatz benutzen – trotz ihrer jährlichen Weltreisen. Die neuen Häuser sahen aber deutlich anders aus als die alten und statt des durchgängigen Spalts unter der Dachrinne mussten die Vögel jetzt die etwas tiefer ansetzenden kleinen Einfluglöcher der Kästen anfliegen. In den allerersten Tagen flogen die Vögel immer und immer wieder an die Baugerüste der beiden mittleren Blocks – hatte sie doch im Vorjahr alle in den noch dort stehenden Altbauten gebrütet. Recht schnell aber entdeckten die ersten Segler die neuen Kasteneingänge in den äußeren Blocks und begannen gleich mit der Brut.

Erwachsener Mauersegler in neuem Kasten mit Futterkugel im Schnabel
Foto NABU / Martin Steverding

Schließlich konnten wir 23 Bruten an der Nordseite (Straßenseite) der Häuser feststellen. Einige Mauersegler flogen auch die Südseiten an, so dass von knapp 30 Bruten ausgegangen werden kann. Für das erste Jahr mit einer völlig neuen Brutplatzsituation ist das Ergebnis herausragend, Mauerseglerexperten hatten uns im Vorfeld prophezeit, dass es im ersten Jahr noch keine Bruten geben würde. Der Bruterfolg war während der extrem trocken-warmen Saison ohne kalte Regentage offensichtlich gut. Die zum Teil lauten Innenausbauarbeiten störten das Brutgeschehen nicht nachhaltig. Am 19.07. schauten am Vormittag aus mindestens 14 Kästen zeitgleich große Jungvögel heraus. Ein großer Teil von ihnen begab sich noch am selben Tag, am heißesten Tag dieses äußerst heißen Sommers, auf den großen Flug.

Junge Mauersegler im Nistkastenstein
Foto NABU / Martin Steverding

Zur Brutsaison im nächsten Jahr werden den Mauerseglern insgesamt 120 Kästen in sechs Häuserblocks zur Verfügung stehen. Die Kolonie dürfte ihre alte Größe schnell wieder erreichen oder sogar überschreiten. Wir danken der Bocholter Heimbau, den Architekten Derksen + Ritte und der Firma Hagemeister für die hervorragende Zusammenarbeit. Mit Spannung erwarten wir die Superflieger im nächsten Jahr, wenn sie nach neun bis zehn Monaten Dauerflug und Hunderttausend oder mehr Flugkilometern in den neuen Kästen für eine ziemlich kurze Flugpause landen.

Dr. Martin Steverding