Foto: NABU-KV Borken

 

Betr.: Anregungen und Bedenken zur 119. Änderung des Flächennutzungsplanes

für den Bereich der geplanten Hauptverkehrsstraße und der geplanten

Wohnbauflächen zwischen dem Hemdener Weg im Osten (unter Einbeziehung

einer kleinen Teilfläche östlich des Hemdener Weges), dem vorhandenen

Siedlungsrand (Schongauerweg / Käthe-Kollwitz-Straße / Rembrandtstraße)

sowie der Dinxperloer Straße im Süden, dem vorhandenen Siedlungsrand

(Bussardweg / Habichtstrasse / Sperberstraße / Holtwicker

Straße / Baustrasse / Falkenstrasse / Efingstrasse) sowie der Dinxperloer

Straße im Westen und westlich sowie südlich der geplanten Hauptverkehrsstraße

anläßlich der frühzeitigen Beteiligung gemäß §3Abs. 1 BauGB

 

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Der NABU Kreis Borken e.V. gibt zu bedenken, dass die vorliegende Flächennutzungsplan-änderungen nicht den Bestimmungen und Erfordernissen des Baugesetzbuches entspricht.

So lauten die ergänzenden Vorschriften zum Umweltschutz des § 1a BauGB:

(1) Bei der Aufstellung der Bauleitpläne sind die nachfolgenden Vorschriften zum Umweltschutz anzuwenden.

(5) Den Erfordernissen des Klimaschutzes soll sowohl durch Maßnahmen, die dem Klimawandel entgegenwirken, als auch durch solche, die der Anpassung an den Klimawandel dienen, Rechnung getragen werden. Der Grundsatz nach Satz 1 ist in der Abwägung nach § 1 Absatz 7 zu berücksichtigen.

Sehr richtig erkennen die Autoren des Umweltberichts auf S.14:

Das momentane Freilandklima entwickelt sich in diesen Bereichen zu einem zusammenhängenden, schwach bis mäßig belasteten Siedlungsklimatop (Stadtrandklima).

Leider wird nicht beschrieben, welche Bewertungsmatrix hier angewandt wird, wie sich diese schwachen bis mäßigen Belastungen darstellen und welche Auswirkungen sie haben. Dennoch behauptet man ein paar Sätze später auf Seite S.15:

Eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels wird mit der Umsetzung des Vorhabens nicht vorbereitet.

Der hier zitierte Satz ist der einzige in der 67-seitigen Begründung (incl. Umweltbericht), in dem das Wort ´Klimawandel` vorkommt. Das macht erschreckend deutlich, dass die Verwaltung diesen Klimawandel, der auch in Bocholt seit einigen Jahren drastische Auswirkungen zeigt, im vorliegenden FNP-Verfahren schlichtweg ignoriert! Erst wenn man die Daten der Auswirkungen des Klimawandels in Bocholt auf allen relevanten Ebenen (Niederschläge, Sonnenstunden, Evapotranspiration, Temperaturerhöhung der Siedlungs-bereiche gegenüber dem Umland etc.) gutachterlich analysiert, ist man in der Lage, eine Änderung der Anfälligkeit des Stadtkörpers gegenüber den Folgen des Klimawandels durch den Bau des Nordrings abzuschätzen. Sicher ist auf jeden Fall, dass die Versiegelungen und Bebauungen des vorliegenden FNP, die die vorhandenen bis an die Dinxperloerstr. heranreichenden offenen Freilandschneisen beanspruchen, signifikante negative stadtklimatische Veränderungen auch für die südlich des Plangebiets liegenden Stadtteile bewirken werden.

Der Umweltbericht beziffert (S.8) die Flächen für Verkehr, Wohnbebauung und Mischgebiet auf 33,12 ha. Zieht man von dieser Zahl Gärten und Grünanlagen ab, kann man, vorsichtig geschätzt, von einer Größenordnung der asphaltierten, bebauten und gepflasterten Fläche ausgehen, die über 20 ha liegt! Leider spielt in der Bocholter Verwaltung der Klimawandel keine Rolle (s.o.), und somit gibt es auch kein Versiegelungs-Monitoring. Versiegelungen finden derzeit in Bocholt in erschreckenden Ausmaßen in allen Himmelsrichtungen am Stadtrand (Neubaugebiete) und im Innenbereich (Nachverdichtungen) statt. Hier sei als Beispiel die I-Park – Erweiterung in Mussum genannt (B-Plan 8-21, Umweltbericht S.5), wo 31,3ha für Gewerbe/Industrie/Verkehr überplant sind.

Die vorliegende FNP-Änderung zum Nordring zeigt keinerlei Elemente, die dem §1aAbs.5 BauGb gerecht werden.

Der Umweltbericht hält sich nicht an den Vorgaben der Anlage 1(zu § 2 Absatz 4 und den §§ 2a und 4c), insbesondere fehlen die Prognosen nach Absatz 2 (b).

Hier sollte erwähnt werden, dass für den Planbereich auf dem Nordring Belastungen von bis zu 16000 Kfz pro Tag erwartet werden (siehe Mobilitätskonzept)! Ironischerweise werden diese zukünftigen Belastungen als schon vorhanden dargestellt: ´´der Nord-/ Westring ist im Änderungsbereich bereits vorgesehen und kann als Vorbelastung angenommen werden.„ (Umweltbericht S. 12)

Der Nordring wird zu einer dramatischen Verschlechterung der Wohn- und Aufenthalts-qualitäten in Bocholt führen. Schon jetzt gehört Bocholt zu den Städten mit den höchsten Radfahrer-Unfallzahlen in NRW (gemessen pro 1000 Einwohner). 2018 gab es 282 Unfälle mit Rad- und Pedelecfahrern in Bocholt. Neue Kreisverkehre innerhalb dicht bebauter Wohngebiete erzeugen neue potentielle Unfallpunkte und stellen erhebliche Distanzwiderstände für Radfahrer, insbesondere Schüler, dar. Eine hohe Kfz-Dichte (664 Kfz / 1000 Einwohner, 31.12.2016 Quelle: Stadt Bocholt) ist Garant für vollgeparkte Straßen, durch die sich permanent Autos schlängeln und den schwächeren Verkehrsteilnehmern höchste Konzentration abverlangt. Bocholts Stadtplaner-Idee der autogerechten Stadt ist anachronistisch! Immer mehr Städte haben dies erkannt und arbeiten an einer Verkehrswende, die in erster Linie auf öffentliche Verkehrsmittel, Fußgänger oder Radfahrer für den Transport innerhalb des Stadtgebiets baut. In Bocholt werden Distanzen zwischen 2 und 5 Kilometern zu über 50% mit dem Kfz zurückgelegt (Mobilitätskonzept). Der Nordring wird diesen Negativtrend als neue Kfz-Magistrale massiv verstärken.

Es gibt keinen umweltverträglichen Straßenbau! Sie schaden mit der Realisierung dieser völlig veralteten Straßenplanung nicht nur der Umwelt und dem Klima, sondern auch den Menschen in Bocholt, indem sie mehr motorisierten Straßenverkehr in die Stadt „locken“, einen unersetzbaren Naturschatz für immer vernichten und stattdessen eine fünf Kilometer lange Asphaltwüste hinterlassen. Sie ignorieren die Ansprüche kommender Generationen auf den Erhalt ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, indem sie für die Bequemlichkeiten der motorisierten Verkehrsteilnehmer irreversible Fakten schaffen!

Der von ihnen dargestellte „geringere Eingriff in die Belange der natürlichen Umwelt“ wird demnach von uns als regelmäßigen Begehern der Trasse in erheblichem Maße angezweifelt. Wir sind als Naturschützer zu allen Jahres- sowie Tageszeiten auf dem Grüngürtel unterwegs gewesen und kennen demnach dieses Areal besser als viele an der Planung beteiligte Akteure. Aus artenschutzrechtlicher Sicht müssen wir Folgendes festhalten:

Angesichts einer dramatischen Abnahme der Biodiversität und einer sich gleichzeitig immer weiter verschärfenden Klimakrise, ist gegenwärtig jedes Biotop, jeder Lebensraum als „wertvoll“ zu betrachten. Ein Einwand unsererseits bezieht sich auf das nachgewiesene Vorhandensein der Breitflügelfledermaus. Diese vom Aussterben bedrohte Art würde nicht den Grüngürtel aufsuchen, wenn nicht Teile des Areals ökologisch wertvoll wären. Und selbst wenn diese Teile nicht als ökologisch wertvoll eingestuft würden, so muss das Vorkommen der Breitflügelfledermaus Anlass genug sein, um diese Bereiche nachträglich als ökologisch besonders wertvoll einzustufen. Sie haben bezüglich dieses wertvollen Vorkommens einer bedrohten Tierart eine besondere Verantwortung!

In der Stufe I der Artenschutzprüfung werden 40 Vogelarten und 7 Fledermausarten (beim zu berücksichtigenden Artenschutzspektrum werden gar 9 Arten gelistet) dokumentiert. Da wir gegenwärtig eine dramatische Abnahme der Biodiversität zu verzeichnen haben, ist es unverantwortlich einen fünf Kilometer langen Grüngürtel, auf dem viele verschiedene Tierarten nachgewiesen worden sind, zu vernichten und daraus ein breites Asphaltband zu „gestalten“. Wissenschaftler bezeichnen die Abnahme der Artenvielfalt als das sechste Massenaussterben der Erdgeschichte, es ist allerdings das erste anthropogen verursachte! Da die Erfüllung von Verbotstatbeständen nach § 44 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 BNatSchG für die im Änderungsbereich möglicherweise auftretenden Fledermausarten, auch unter Berücksichtigung der Bauzeitenregelung, nicht ausgeschlossen werden kann, fordern wir den vollständigen Verzicht auf das gesamte Bauvorhaben und stellen zugleich die Forderung auf, den Grüngürtel dauerhaft unter Schutz zu stellen. Im Artenschutzgutachten findet sich zudem abschließend folgender Hinweis: „Im Rahmen der Artenschutzvorprüfung für den Änderungsbereich des Flächennutzungsplans können artenschutzrechtliche Betroffenheiten im Sinne der Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 BNatSchG nicht abschließend geprüft werden. Eine vertiefende Prüfung der Verbotstatbestände im Rahmen der Artenschutzprüfung (Stufe II) wird im Rahmen der verbindlichen Bauleitplanung erfolgen.“

Außerdem möchten wir darauf hinweisen, dass es sich einerseits immer nur um Stichproben bezüglich der Artenvorkommen handelt, so dass das Vorkommen weiterer (planungsrelevanter) Arten keineswegs auszuschließen ist. Andererseits sind Vögel und Fledermäuse mobile Tiere, somit ist es keineswegs auszuschließen, dass sich künftig weitere Arten ansiedeln könnten; dies erst recht vor dem Hintergrund weiterer großflächigerer Naturvernichtungen in Bocholt, die wir bereits eingangs unseres Schreibens aufgelistet haben. Angesichts dramatisch schwindender Lebensräume würde der sich weiter entwickelnde Grüngürtel künftig eine noch größere ökologische Bedeutung für verschiedene Arten bekommen. Er kann von Tieren/Arten aufgesucht werden, die an anderen Stellen keine Lebensräume mehr haben oder keine ausreichenden Nahrungsquellen mehr finden. Abschließend sei auf das Artenschutzgutachten bezogen angemerkt, dass folgende Klassen bzw. Reiche völlig ignoriert worden sind:

– die Klasse der Insekten sowie andere Wirbellose

– das Reich der Pflanzen

– das Reich der Pilze

– sowie Flechten

Es ist nicht nachvollziehbar, dass es keine Auflistung von Arten dieser Klassen bzw. Reiche gibt. Spätestens seit der Studie der Krefelder Entomologen ist das weitreichende Problem des Insektensterbens in der Gesellschaft angekommen. In Ihren Plänen werden die Insekten völlig ignoriert! Das Aussterben verschiedener Arten kann auch Auswirkungen auf das Überleben der Menschheit haben. Umso unverständlicher ist es, dass die Klasse der Insekten nicht erwähnt wird. Auch zahlreiche Pflanzenarten und ebenso Pilze sind vom Aussterben bedroht. Auch hier werden keine Arten aufgelistet. Das Fehlen dieser Artenspektren rügen wir und fordern zugleich weitere Gutachten, die die genannten Klassen und Reiche auflisten. Erst bei umfassenden Artenschutzgutachten liegt eine Entscheidungsgrundlage vor. Der Schaden für die Biodiversität in Bocholt und der Region wird durch den Bau des Nordringes nicht unerheblich sein; dies findet sich jedoch nirgendwo in Ihren Planungen.

Lichtverschmutzungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Insekten, die Vögel, die Fledermäuse und nicht zuletzt auch auf die Menschen. Vögel können in ihrer Nachtruhe gestört werden, Insekten verenden zu Millionen an Straßenlaternen (s.a. https://www.wissenschaft.de/umwelt-natur/insektensterben-durch-lichtverschmutzung/ und https://www.sueddeutsche.de/wissen/biologie-insektensterben-lichtverschmutzung-1.4706470). Wir rügen, dass diese Auswirkungen bislang in den veröffentlichten Unterlagen der Stadt Bocholt keinerlei Erwähnung und Berücksichtigung gefunden haben. Zudem fordern wir das Erstellen unabhängiger Gutachten zu den Auswirkungen der mit dem Bau des Nordrings einhergehenden zusätzlichen Lichtverschmutzung auf Mensch und Tier.