Direkt vor unserer Haustür leben am Niederrhein und im Westmünsterland wieder Europäische Grauwölfe. Einer der größten Erfolge für den Naturschutz, allerdings höchst umstritten. Die „Arbeitsgemeinschaft NABUs im Wolfterritorium Schermbeck“ (siehe Kasten) hat sich zur Aufgabe gemacht, in der Region entsprechend aufzuklären.
Auf eigenen Pfoten kam im Jahr 2018 eine junge Wölfin den gefahrvollen Weg aus Niedersachsen zu uns an den Niederrhein. Die Gegend erwies sich als geeignet für Wölfe – es gibt genug Wild und ausreichend Rückzugsmöglichkeiten. Die Wölfin blieb. Eigentlich identifiziert sie die wissenschaftliche Kennung GW 954 f, aber jeder nennt sie „Gloria“. Zwei Jahre später folgte ein Rüde (GW 1587 m), mit dem sie dann in den Jahren 2020 bis 2022 nachweislich drei Würfe mit Wolfswelpen hatte. Gloria ist damit die einzige fortpflanzungsfähige Wolfsfähe in NRW.
Im letzten Jahr brachen für das Rudel unruhige Zeiten an. Zuerst verschwand der bisherige Wolfsvater. Gloria war eine Weile mit dem Dämmerwalder Rüden (GW 2889 m) unterwegs, der auch der Vater des Wurfes in 2023 sein könnte. Im Herbst gab es dann vermutlich einen erneuten Rüdenwechsel zu dem neu zugewanderten GW 3616 m, was für die an sich lebenslang zusammenlebenden Wolfspaare ungewöhnlich ist. Über Gründe lässt sich nur spekulieren: Revierkämpfe mit Todesfolge oder – auch das wäre möglich – Wilderei? Da auch die Jungwölfe spätestens mit Erreichen der Geschlechtsreife abwandern, ist von vermutlich vier bis fünf erwachsenen Wölfen in der Region auszugehen. Aus Sicht des Natur- und Artenschutzes in jedem Fall eine spannende Familiengeschichte. Und das direkt in unserer Nachbarschaft.
Abschuss der Wölfin Gloria ist gerichtlich gestoppt?
Wölfe sind von der Evolution entwickelte Beutegreifer, die sinnvolle Funktionen im Ökosystem haben. Wie andere Prädatoren auch sind sie quasi die Gesundheitspolizei des Waldes: sie fressen alte oder kranke Tiere und halten das Wild in Bewegung, was Verbissschäden reduziert. Zu
98 Prozent ernähren Wölfe in Deutschland von Wild, aber auch Nutztierrisse bleiben – wenn kein sachgemäßer Herdenschutz vorhanden ist – nicht aus. Gloria hat es hier zu einer traurigen Berühmtheit gebracht, viele Nutztierrisse gehen auf ihr Konto. Deswegen haben das Umweltministerium NRW und der Kreis Wesel sie im Dezember letzten Jahres zum Abschuss freigegeben. Dies wurde aber auf Initiative von drei Naturschutzorganisationen, u. a. ‚Gesellschaft zum Schutz der Wölfe‘ und ‚BUND NRW‘, gerichtlich gestoppt. Juristen haben sowohl beim Verwaltungsgericht in Düsseldorf als auch beim Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, dass der Kreis Wesel nicht dargelegt habe, „dass Gloria ein problematisches, auf geschützte Weidetiere ausgerichtetes Jagdverhalten zeigt.“
Die Verschlechterung des Erhaltungszustandes der lokalen Population liege auf der Hand. Der Abschuss von Gloria bedinge einen endgültigen artenschutzrechtlichen Schaden, der auch nicht ohne Weiteres kompensierbar wäre. Der auf der anderen Seite zu berücksichtigende landwirtschaftliche Schaden durch gerissene Weidetiere würde aufgrund von bestehenden Entschädigungsregelungen für Nutztierhalter kompensiert. Somit haben die Juristen in der Abwägungsprüfung dem Artenschutz den Vorrang eingeräumt und die Ökologie auch rechtlich deutlich gestärkt.
Sachgemäßer Herdenschutz für die Region gefordert
Wolfspolitik ist komplex. Die ‚AG NABUs im Wolfterritorium Schermbeck‘ fordert daher differenzierte Sichtweisen. Einerseits muss der Staat rechtssicher Wölfe töten können, wenn es wirklich einmal erforderlich sein sollte. Andererseits müssen auch die Weidtierhaltenden der Region alles tun, um ihre Tiere vor Wölfen zu schützen. „Und genau das liegt hier bei uns noch im Argen“, sagt Frank Bosserhoff vom NABU Wesel. „Solange 80 Prozent der Nutztierrisse – das stellte ein Rechtsgutachten des Umweltministeriums neulich fest – hinter völlig unzureichenden Zäunen stattfinden, werden wir einer Wolfstötung nicht zustimmen.“ – „Wolfstötungen helfen Tierhaltern nicht, das stellen anerkannte Wildtier-Forschende immer wieder fest. Denn auch wenn ein Beutegreifer getötet wird, bleiben andere Wölfe in der Region oder wandern über kurz oder lang neu zu. Treffen sie dann auf mangelhaften Herdenschutz, kommt es erneut zu Rissen“, ergänzt sein Kollege Rolf Fricke vom NABU Bottrop. Und Martin Frenk vom NABU Borken weist auf Wichtiges hin: „Alle Tierhalter sind gut beraten, sich spätestens jetzt helfen zu lassen. Die Landwirtschaftskammer unterstützt auch Hobbyhalter. Das Land NRW finanziert die Anschaffungskosten von Zäunen oder Herdenschutzhunden. Und ehrenamtliche Organisationen wie Wikiwolves können beim Zaunaufbau helfen.“
Arbeitsgemeinschaft ‚NABUs im Wolfsterritorium Schermbeck‘
- Ziel: Über Wölfe aufklären und damit langfristig zu einer Koexistenz in der Region beitragen
- Mitglieder: Frank Boßerhoff (NABU Wesel), Martin Frenk (NABU Borken) sowie Rolf Fricke und Brita Westerholz (NABU Bottrop). Die AG steht für rund 12.000 NABU-Mitglieder.
- Arbeitsweise: themenspezifische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit durch Pressemitteilungen, den Presse-Newsletter „WOLFSMAIL“ und Vorträge
„Argumente für den Wolf werden jetzt besser wahrgenommen“
Kurzinterview mit Martin Frenk, NABU Kreisverband Borken
Was waren die Gründe für die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Bottrop und Borken?
Frenk: Wir begleiten dieselben Wolfsindividuen, nur aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen. Da lag es nahe, gemeinsame Sache zu machen.
Wie aktiv war die AG in der letzten Zeit?
Frenk: Wir arbeiten jetzt seit zwei Jahren sehr konstruktiv zusammen. Im letzten Jahr haben wir sieben Ausgaben des Newsletters „WOLFSMAIL“ und diverse Pressemitteilungen herausgegeben, um die regionalen Medien mit Kommentaren zu aktuellen Ereignissen sowie Hintergrundwissen auszustatten.
Welche Erfolge zeigen sich?
Frenk: Durch die gemeinsame Pressearbeit werden die Argumente zum Artenschutz für den Wolf am Niederrhein und im Westmünsterland von der Regionalpresse, aber auch NABU intern besser wahrgenommen. Wir waren in den Medien gut präsent und konnten damit ein deutlich wahrnehmbares Gegengewicht zur Lobbyarbeit der Wolfsgegner setzen.