In Mussum rückt das Ziel der Erweiterung und Bebauung des Industrieparks Mussum und damit die Entfernung der alten Gehöfte und landwirtschaftlichen Flächen näher. Hier am ländlichen Rand Bocholts stehen noch immer etliche Eichen mit außerordentlichen Kronen. Auffällig ragen die alten Bäume in die Leere der jetzt kargen Landschaft.
Über Jahrzehnte und Jahrhunderte waren die Eichen Begleiter der alten Höfe. Sind ihre Tage nun gezählt? Hoffentlich nicht!
Besonders markant ist die urige Eiche auf dem Hof im „Enkhook 7“ nahe dem THW-Gelände. Dieser Hof wird nun sukzessive abgerissen. Diese geschätzt 300 Jahre alte und kerngesunde Eiche wird nach Aussage des Bocholter Stadtbaurates Zöhler nicht „überplant“, d.h. sie bleibt erhalten und soll stehen bleiben.
Das ist aus Sicht des NABU-Kreisverbandes Borken e.V. sehr erfreulich, denn derartig markante Bäume sind in Bocholt und Umgebung mittlerweile sehr selten geworden. Wir freuen uns über die Haltung der Verwaltung, dass dieser Baum erhalten bleiben wird. Diese Eiche sollte als „Naturdenkmal“ eine gebührende Anerkennung und dauerhaften Schutz finden, die anderen Exemplare auch.
Ein zweites Gehöft, das im Zentrum des zukünftigen Industrieparks steht, wird auch bald abgerissen sein. Dieser landwirtschaftliche Komplex hat eine einmalig schöne Rahmung durch eine Galerie von mehr als einem Dutzend mächtiger und kräftiger ca. hundertjährigen Eichen.
Solche heimattypischen „münsterländischen Gehöfte mit Eichenbestand“ gab es früher häufig, mittlerweile sind sie Raritäten.
Somit wäre der alte Baumbestand ein hervorragendes Aushängeschild für den Mussumer I – Park!
Herrn Zöhlers Aussagen und Bereitschaft , dass bei der Erweiterung des I-Parks möglichst viele Bäume erhalten bleiben sollen, kennt der NABU Kreisverband und begrüßt dieses Vorgehen der Stadtverwaltung ausdrücklich. Der NABU möchte jedoch noch einmal sein Engagement für den dauerhaften Erhalt der z. T. uralten Eichen begründend mitteilen.
Mächtige und großkronige Eichen sind ein wichtiger, unverzichtbarer Naturschatz, der mit zunehmendem Alter immer mehr Bedeutung gewinnt, weil insbesondere die Ökosystemleistungen signifikant gestiegen sind.
Eichen sind nicht nur aufgrund ihrer Größe und ihres markanten Wuchses imposante Bäume, sie haben auch eine enorme Bedeutung zur Stabilisierung des lokalen Klimas und als Lebensraum für unzählige Tier- und Pflanzenarten. Eichen sind demnach unverzichtbare Faktoren gegen die Erderwärmung und die Abnahme der Biodiversität. „Allein etwa 400 Schmetterlingsarten, über 100 Käferarten und dazu noch Dutzende diverser Zweiflügler- und Hautflüglerarten leben direkt oder indirekt von der Eiche. Keine andere holzige oder krautige Pflanze in Europa beherbergt mehr Insektenarten als die Eiche“ (Zankl/Ludwig 2015, S. 8).
Hinzu kommt noch die Bedeutung der Eiche für viele Vogel- und Säugetierarten, die sich von den Eicheln ernähren und für die die Eiche einen wichtigen Lebensraum zum Brüten, Schlafen, Verstecken darstellt. Zahlreiche Moose, Flechten und Pilze leben auf der rauen Borke der Eiche.
Auch für uns Menschen hat sie eine enorme Bedeutung: „Eine einhundertjährige Eiche wandelt pro Jahr in ihren rund 150.000 Blättern rund 6.000 Kilogramm Kohlendioxid in ganze 4.500 Kilogramm Sauerstoff um“ (Zankl/Ludwig 2015, S. 22). Das ist der Jahresbedarf an Sauerstoff von 11 Menschen. Die Eichen filtern zudem die Luft von Staub. Und sie spenden an heißen Tagen Schatten und Abkühlung, die keine Klimaanlage auch nur annähernd spenden kann. Die Eichen haben sich in den Hitzesommern der letzten Jahre als hitzeresistent erwiesen und haben deshalb zukünftig eine überragende Bedeutung für die Stabilisierung des lokalen Klimas. Nicht zuletzt üben sie seit jeher eine große Faszination auf uns Menschen aus. Das alles kostenlos.
Das Bewusstsein für die Notwendigkeit klima- und artengerechter Bepflanzungen und Ökostrukturen steigt weltweit und wird ebenso in Konzepte der Städteplanung und Landschaftsarchitektur umgesetzt, nicht nur aus Gründen der Biodiversität und Klimabedrohung, sondern auch aus ökonomischer Perspektive.
In Bocholt startete beispielsweise letztes Jahr die Firma Spaleck ein zukunftsorientiertes Programm zur Fassadenbegrünung, um sommerliche Überhitzung und winterliche Kälte zu entgegnen. Zum klima- und biodiversitätsgerechten Firmenkonzept gehört es, wo immer möglich, dem Naturnahen und der Artenvielfalt Raum zu gegeben. Dies führte zu einer Neugestaltung auch trostloser Bodenversiegelungen und Schottergründe.
Es gibt sie also auch in Bocholt: die Verbindung von ökologischer Verantwortung und ökonomischer Vernunft.
https://nabu-borken.de/spaleck-und-nabu-fassadengruen-fuer-die-industrielandschaft/
Leider erleben wir immer wieder Gegenbeispiele, wie zuletzt in Stadtlohn geschehen, wo völlig verantwortungslos Eichen dutzendweise gefällt wurden, dies aus Gründen einer Industrieanlagenerweiterung.
https://nabu-borken.de/der-nabu-kreisverband-borken-e-v-kritisiert-baumfaellungen-in-stadtlohn/
Daher richten wir im Jubiläumsjahr unseren Appell und die dringende Bitte an Bocholts Politik und Verwaltung:
Lassen Sie bitte diese einmalig wichtigen und wuchtigen alten Eichen stehen.
Initiieren Sie die Integration der Altbäume in die Außenraumgestaltung des Industriestandortes
Fördern Sie zukunftsorientiert ökologisches Denken und Handeln mit einem „grünen“ Industriestandort.
Mit dem Erhalt aller alten Eichen im Stadtgebiet betreiben wir heute und in Zukunft kostenlosen Klima-, Natur- und Artenschutz. Gleiches gilt auch für die alten Eichen in Holtwick „Auf dem Kamp/Kestingstraße“. Unsere werthaften Altbäume müssen erhalten bleiben und dürfen nicht überplant werden.
Schwierig genug war es für die Stadtverwaltung, 800 neue Bäume für das Jubiläumsjahr 2022 zu pflanzen.
So kann es doch einfach nicht sein, dass die weit größere Ökoleistung unserer Altbäume mit diesen (weg-) fällt.
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Literatur: Zankl, S. & Ludwig, M. (2015): Wildnis Eiche. München
Text/Fotos: Michael Kempkes/Norbert Osterholt