Die Stadt Bocholt feiert ihr 800-jähriges Bestehen und es tut allen Beteiligten gut. Schön, dass endlich wieder gefeiert werden kann in diesem Jubiläums-Geburtstagsjahr. Die Corona-Pause lässt zu, dass in der Stadt an vielen Wochenenden mit Freude und Programm Rückblick genommen werden kann.

An dieser Stelle sei es gestattet, den Blick auf die Zukunft unserer Stadt und unserer Region zu werfen. Was ist mit Bocholt und dem Kreis Borken in 800 Jahren? Diese Dimension ist unvorstellbar.

Was wird in 8 Jahren sein? Naheliegendes können wir natürlich besser einschätzen. Viele Menschen hoffen beispielsweise auf weitere nötige und ausreichende Regenphasen und weniger Dürre und Trockenheit in den Sommermonaten. Und was in 80 Jahren sein könnte, das ist durchaus berechnet. Entsprechende Szenarien sind im Zusammenhang mit den Zukunftsmodellen einer wissenschaftlich fundierten Klimaforschung recht klar konturiert und prognostiziert.  Die Anzeichen kommender großer Gefahren und Veränderungen sind jetzt schon spürbar, die verbleibenden Handlungsoptionen sind in Ursache-Wirkungs-Modellen aufgezeigt. Eine Katastrophe bahnt sich an, noch sind wir mit den wirklich ernsthaften Klima-Problemen nicht konfrontiert. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern dieser Erde. Z. B.

https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/indien-hitze-klima-folgen-100.html

https://taz.de/Trockenheit-in-Suedeuropa/!5859386/

In der ersten offiziellen Jubiläumsausgabe „800 Jahre Bocholt“ des BBV wird auf den Seiten 48 bis 51 über den geplanten Bau des stadtumgreifenden „Verkehrsweg Nordring“ berichtet. Dabei wird insbesondere der verantwortliche städtische Baurat Herr Zöhler zitiert, der in dem Zusammenhang bedauert: „Die Planung wird leider immer wieder von nicht sachlich gelenkten Argumenten beeinflusst, die den Mehrwert des Stadtringes ignorieren“.

Einseitig, eindimensional und ohne die Gegenstimmen und Gegenargumente positioniert, wird diese städteplanerische Jahrhundertentscheidung Bocholts durch die verantwortliche BBV Redaktion somit als sachlich richtig und inhaltlich unanfechtbar positioniert. Fundierte Gegenpositionen, berechtigter Protest, echte Sorge und starkes Engagement der auch zahlenmäßig starken städtischer Bürger*innen bleiben außen vor. Das wirft viele Fragezeichen auf über die gesellschaftliche und (umwelt-) politische Situation in der Jubiläumsstadt Bocholt.

Verantwortlichen der Redaktion und dem Herrn Baurat Zöhler würde vielleicht ein Frühjahrsspaziergang frühmorgens durch den noch vorhandenen Grüngürtel Bocholts weitere Perspektiven geben. Offenbart doch ein solcher Spaziergang durch ein vielstimmiges Vogelkonzert, ein Farborchester aus zarten Grüntönen und Lichtspielen in überraschender Weise immer wieder Mehrwert-Momente der Ruhe, der Entspannung und des Genießens. Ein Kontrast folgt  dann abschließend mit den schon realisierten Bauabschnitte.

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Sehr viele Bocholter*innen wissen die übrig gebliebenen Grünstrukturen zu schätzen und einzuordnen. Die Argumente gegen weitere Verkehrswege sind nun mal durch immense Mengen an richtigen Fakten gestützt. Es ist belegt: Wir können uns  eine Verkehrspolitik und einen damit einhergehenden Versiegelungswahn wie in den letzten Jahrzehnten gemacht, nicht mehr leisten. Wir brauchen dringend Hitze- und Wasserstrategien für ein zukünftiges Überleben. In diesem Kontext ist das Problem der Artenvernichtung noch nicht eingerechnet. Der Bocholter Grüngürtel ist ein großflächiger ruderaler Lebensraum. Wo in Bocholt sonst finden wir so umfänglich vernetzte grüne Bereiche, die sich selbst überlassen werden. Die recht großen Brennesselfelder z. B. sind wichtige innerstädtische Zufluchtsräume für viele Insekten. Diese wiederum sind Grundlage für viele insektenfressende Vogelarten. Solche Flächen gab es vor Jahrzehnten noch in Mengen. Die Etablierung vieler Verkehrswege hat diese Flächen zerstört, zerschnitten und versiegelt. Der Flächenfraß in Deutschland ist immens. Wir fressen uns selber auf.

In Bocholt wird dieses besorgniserregende Vorgehen durch eine anachronistische Stadtplanung vorangetrieben. Auch die Flächen in Bocholt sind nicht unendlich. Man muss gut und sorgsam mit ihnen umgehen, z. B. auch bei der Entwicklung von Industriegebieten. [su_custom_gallery source=“media: 547918,547912,547906,547960,547954,547948,547942,547936,547930″ limit=“89″ link=“lightbox“ title=“never“]

Die Vernichtung naturnaher und ruderaler Lebensräume kann leider nicht oder nur unzureichend durch Kompensationsmaßnahmen wie Blühstreifen, Verkehrsinselgrün, Nisthilfen, Insektenhotels oder Jungbaumanpflanzungen beglichen werden. Wie wollen wir in 8 oder 80 Jahren leben? Soll man sich an das Jubiläumsjahr so erinnern, dass damals letzte Überbleibsel  einer ehemals nachhaltig und biodivers geprägten Kulturlandschaft durch ungehemmte Versiegelung und unreflektierte Verkehrsplanung noch vorhanden waren und ein Umdenken noch möglich war? So z.B. die Weidetierhaltung nahe der Fachhochschule oder Streuobstwiesen im Mussumer Industriegebiet.

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Zur aktuellen Situation haben 40 führende Wissenschaftler*innen der deutschen Bundesregierung einen Brandbrief  geschrieben. Auch dies sind leider keine nicht-sachlich gelenkten Argumente.

https://www.tagesschau.de/inland/forschende-fuer-mehr-artenschutz-deutschland-101.html.

Fotos: Norbert Osterholt / Text: Michael Kempkes & Norbert Osterholt